Phonologische und phonetische Universalien

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Phonologische Universalien sind Eigenschaften (beziehungsweise Hypothesen über solche Eigenschaften), die für die Lautsysteme menschlicher Sprachen (uneingeschränkt) gültig sind.

Zum Beispiel: Alle Sprachen haben Nasale.

Relevante Bereiche sind dabei nicht nur die Segmentalia, Suprasegmentalia (darunter auch Ton, Prosodie) und Silbenstruktur von Sprachen, sondern auch Schnittstellen mit anderen sprachlichen Domänen. So gibt es die Hypothese des Größe-Klang-Symbolismus, die einen Zusammenhang zwischen der Größe eines Objektes und dem Klang des Wortes, welches dieses Objekt bezeichnet, sieht. Zum Beispiel: Diminutive beinhalten meistens vordere Vokale. (Universalienarchiv, Nr. 1001)

Joseph Greenberg begründete mit dem Stanford Project on Language Universals die moderne Universalienforschung. Dabei sah er die Phonologie als das ergiebigste Gebiet für Generalisierungen über Sprachen. Doch schon bei Roman Jakobson finden sich Hypothesen über eine Ordnung menschlicher Lautsysteme, die er aus dem stufenweisen Aufbau im Lauterwerb und den gleichermaßen stufenweisen Abbau im Sprachverlust (Aphasie) ableitet.

Der Fachbereich Sprachwissenschaft der Universität Konstanz führt seit 2002 eine Online-Datenbank sprachlicher Universalien. Im Bereich der Phonologie sind dort bis jetzt über 500 Universalien gelistet. Diese Hypothesen sind unterschiedlich komplex und meist implikationeller Natur.

Jakobson und Greenberg widerspiegeln in ihren Betrachtungen die Denkweise des Strukturalismus. Beide sehen eine inhärente Struktur von Lautsystemen, die durch Markiertheit- Unmarkiertheitsoppositionen bzw. durch das Prinzip des maximalen Kontrastes aufgebaut ist.

Eine andere Perspektive eröffnet Juliette Blevins in ihrer Evolutionary Phonology. Lautsysteme immer wieder dem Wandel unterworfen, da wir als Sprecher sowohl beim Hören als auch beim Sprechen Fehler machen. Wiederkehrende Lautmuster beziehungsweise Universalien der Phonologie sind das Ergebnis von wiederkehrenden fehlerhaften Übertragungsprozessen.


Typen von Hypothesen

Universalienhypothesen sind entweder als Allaussagen, Implikationen oder statistische Aussagen formuliert.

Allaussagen sind solche Hypothesen, die Gültigkeit für alle Sprachen beanspruchen. Zum Beispiel: In jeder Sprache gibt es mindestens die Vokale /i a u/. (Universalienarchiv, Nr. 688)

Implikationen sind Aussagen über Beziehungen von Eigenschaften. Dabei gilt eine Eigenschaft (Implikans) als Voraussetzung für die Existenz einer anderen Eigenschaft (Implikat). Zm Beispiel: Wenn es lange Konsonanten nach langen Vokalen gibt (Implikans), so gibt es auch lange Konsonanten nach kurzen Vokalen (Implikat). (Universalienarchiv, Nr. 458)

Statistische Aussagen haben keine allumfassende Gültigkeit, sie beziehen sich auf einen Großteil bzw. überwiegenden Teil der Sprachen. Zum Beispiel: Die bevorzugte Anzahl nasaler Konsonanten in einer Sprache liegt zwischen zwei und vier. (Universalienarchiv, Nr. 791)

Lauterwerb in der Kindersprache und Lautverlust bei Aphasie (Jakobson 1969)

Jakobson untersuchte tagebuchartige Aufzeichnungen des Spracherwerbs einzelner Kinder und stellte dabei fest, „daß dem Spracherwerb und speziell der Lautgewinnung eine gesetzmäßige Ordnung“ innewohnt (Jakobson 1969, 19).

Das Kind entwickelt seine Laute nach dem Prinzip des maximalen Kontrastes. Maximale Öffnung und maximaler Verschluss des Vokaltraktes ist dabei der erste Kontrast, den das Kind „entdeckt“ und so bestehen seine ersten Silben aus dem maximal offenen Vokal /a/ und einem bilabialen Verschluss /p/. Innerhalb dieser Kategorien kontrastiert es weiter. Dem /p/, welches oral und nasal verschlossen ist, wird ein /m/, welches nur oral verschlossen, nasal aber offen ist, entgegengesetzt. Darauf folgt die Unterscheidung in labiale und alveolare Verschlusslaute /t/ und /n/.

Zum weiten /a/ wird bald ein enger Vokal /i/ als Gegensatz gebildet. Nun kann es ausgehend vom /i/ weiter unterscheiden zwischen palataler und velarer Artikulation und ein /u/ hinzufügen, oder es unterscheidet zwischen dem geringsten und weitesten Öffnungsgrad (/i/-/a/) einen dritten, mittleren: das /e/.

Jede Stufe des Lauterwerbs liegt ihrer nachfolgenden zu Grunde („einseitige Fundierung“). Erst nachdem die vorderen Konsonanten erlernt wurden, kommen velare Verschlusslaute hinzu. Und erst nachdem die Verschlusslaute erworben wurden, können auch Frikative gelernt werden, die jeweils wieder zuerst nur vorne gebildet werden können und erst danach auch im hinteren Mundraum.

Diese Ordnung ist nicht nur für den Kinderspracherwerb universal, sie spiegelt auch die Verhältnisse in den Sprachen der Welt. So stellen die ersten Konsonanten des Kindes (/p/, /m/, /t/, /n/) den „minimalen Konsonantismus“ dar. Damit ist gemeint, dass diese Konsonantenreihe in allen Sprachen vorkommt. Es gibt zwar Sprachen, denen diese Laute fehlen. Aber dieses Fehlen ist durch äußere Einflüsse wie zum Beispiel ritueller Körperschmuck in Form eines Lippenpflocks erklärbar. Die dreigliedrigen Vokalreihen /a/-/i/-/u/ oder /a/-/i/-/e/ bilden den „minimalen Vokalismus“. Es gibt keine Sprache mit weniger als drei Vokalen und keine Sprache, die zum Beispiel /a/-/ʏ/-/i/ als einzige Vokale aufweist.

Auf gleiche Weise findet sich auch die Hierarchie des Lauterwerbs in den Lautinventaren der Sprachen wieder. So gibt es die hinteren Verschlusslaute nur, wenn es die vorderen gibt. Der vom Kind später gelernte Laut erweist sich jeweils als das Implikans, der frühere Laut als das Implikat. Erwerb der Frikative impliziert das Vorhandensein der Plosive. Außerdem scheint es so zu sein, dass das Implikat in den Sprachen der Welt relativ zum Implikans häufiger vorkommt. Die Frikative, Liquide und Nasalvokale, die das Kind erst zum Schluss erwirbt, tauchen weniger oft auf und gelten als die markierten Varianten. Auch können die Mitglieder einer Lautkette in ihrer Anzahl niemals die Mitglieder einer vorher gelernten Lautkette übersteigen. Wenn eine Sprache die oralen Vokale /a/-/i/-/u/ hat, so kann sie als nasalierte Vokale maximal /ã/-/ ĩ/-/ ũ/ aufweisen.

Jakobson findet Entsprechungen dieser stufenförmigen Ordnung auch in der Sprache der Aphasiker. Von phonologischen Abweichungen sind jeweils zuerst die Laute betroffen, welche vom Kind zuletzt gelernt wurden.

„Dieser Grundsatz ist bis zur Banalität einfach: man kann weder den Überbau errichten, ohne den
entsprechenden Unterbau geschaffen zu haben, noch den Überbau ohne den Unterbau aufheben.“ (Jakobson 1969, 132)

Die Erklärung für diese Geordnetheit im Spracherwerb ist für Jakobson struktureller Natur. Die Existenz eines Lautes erklärt sich durch sein Verhältnis zu einem anderen Laut: es soll maximal gegensätzlich sein.

Die Konzepte, die von Jakobson und auch Trubetzkoy beziehungsweise der Prager Schule schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Beschreibung der Phonologie eingeführt wurden, haben bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren. Sie sind nicht nur in aktueller phonologischer Theorie fundamental – Konzepte wie zum Beispiel Markiertheit haben auch ihren Einzug in die Beschreibung anderer linguistischer Ebenen gefunden.

Phonologische Universalien bei Greenberg und im Stanford Project on Language Universals

Greenberg (1966): Language Universals

Greenberg greift die markiert/unmarkiert-Opposition der Prager Schule auf. Wenn zwei Phoneme sich nur hinsichtlich eines Merkmals unterscheiden, sonst aber gleich sind, bilden sie zwei Repräsentationen eines Archiphonems. So sind /b/ und /p/ hinsichtlich Artikulationsart und -stelle gleich, sie unterscheiden sich nur darin, dass /b/ stimmhaft und /p/ stimmlos ist.

Wann welche Repräsentation des Archiphonems auftaucht, hängt von der Markiertheit des distinktiven Merkmals ab. So ist in dem Set /b/-/p/ der stimmhafte Laut der markierte Opponent. Es wird gezeigt, dass im Prozess der Neutralisation immer der unmarkierte Repräsentant verwendet wird. In einer Position, in der /b/ und /p/ nicht kontrastieren, wird das unmarkierte /p/ verwendet.

Des Weiteren zeigt der unmarkierte Laut einer solchen Opposition eine größere Auftretenshäufigkeit.

Greenberg weist an verschiedenen Sprachen die Häufigkeitsverteilungen der markierten und unmarkierten Laute nach. Die relevanten Merkmale sind Glottalisierung, Aspiration, Palatalisierung, Längung und Nasalierung von Vokalen. Der unmarkierte Laut ist dabei jeweils derjenige, der hinsichtlich dieser Merkmale mit dem Präfix un- beschrieben werden kann (so sind zum Beispiel die unaspirierten Konsonanten die unmarkierte Variante). Durch seine Daten wird die Häufigkeitsverteilung unmarkiert>markiert bestätigt. Neben den genannten nennt er noch weitere Eigenschaften der Markiertheitsopposition:

  • Unmarkierte Laute weisen eine größere phonemische Variation auf.
  • In phonologischen Universalien-Implikationen ist jeweils der markierte Laut derjenige, der impliziert. Die Anzahl markierter Phoneme impliziert immer eine genauso große oder größere Anzahl nicht-markierter Phoneme und das Vorhandensein markierter Phoneme impliziert das Vorhandensein der unmarkierten Phoneme (sh. nasalierte Vokale bei Jakobson).

Stanford Project on Language Universals

Nach der Konferenz von Dobbs Ferry (1961) wurde das Project on Language Universals an der Universität Stanford ins Leben gerufen (1967-1976). Im Rahmen dieses Projektes wurden regelmäßig die Working Papers in Language Universals veröffentlicht. Als Zusammenfassung dieser Schriften sind 4 Bände mit dem Titel „Universals of Human Language“ erschienen.

Ein Band ist dabei der Phonologie gewidmet. Die Kapitel sind jeweils von einzelnen Mitgliedern des Universalien-Projektes verfasst und befassen sich mit unterschiedlichen Betrachtungsebenen der Phonologie:

Segmente
Phonotaktik
Ton-Universalien
Phonologische Prozesse
Intonation
Lautsymbolismus

Wie schon in Greenberg (1966) ist die Herangehensweise von der Empirie geleitet. Grundlage für die Universalienhypothesenbildung ist die Analyse relativ großer phonetischer und phonologischer Samples, die aus dem Phonology Archiving Project stammen, eine Datenbank, die kurz nach der Gründung der Stanforder Universalienforschungsgruppe angelegt wurde. Während Greenberg in Language Universals (1966) im Prinzip keine einzelnen phonologischen Universalienhypothesen aufstellt, finden sich in den Kapiteln des Bandes Phonology unterschiedlich deutliche Universalienformulierungen.

Ein Beispiel aus Crothers, John: Vowel Systems
1. All languages have /i a u/.
2. Four vowels (V) include /ɨ/ or /ɛ/.
3. Five V include /ɛ/.
4. Six V include /ɔ/, also /ɨ/ or /e/.
5. Seven V include /e o/ or /ɨ ə/.
6. Eight V include /e/.
7. Nine V include /o/.
8. Five V is optimal number.
9. Height distinctions equal or exceeds backness distinction.
10. Interior height distinctions do not exceed front or back height distinctions.
11. Two interior V include one high V.
12. Height distinctions in front V equal or exceed those in back V. (vgl. Greenberg 1988, 134)

Die meisten Universalienformulierungen sind Implikationen. Die Opposition markiert/unmarkiert dient als Konzept, das die Zusammenhänge von implikationellen Universalienaussagen erklären kann. So sind die unmarkierten Varianten eines Phonems stets die Voraussetzung für das Vorhandensein ihrer markierten Gegenstücke und das Auftreten der markierten Varianten impliziert das Vorhandensein der unmarkierten Laute.

Neure Ansätze: Evolutionary Phonology (Juliette Blevins 2004)

Blevins geht der Frage nach, warum es wiederkehrende Lautmuster gibt, von denen wir sagen könnten, dass sie universal sind. Häufiger auftretende Lautmuster sind das Ergebnis paralleler Evolution im phonologischen System. Diese Evolution findet statt, weil wir als Medien von Sprache Fehler bei der Übertragung machen, sowohl als Hörer und als Sprecher.

„Certain sound changes are more common than others because they are
rooted in the way we hear and speak.“ (Blevins 2004, xi)

Eine Generalisierung oder etwas, das für Sprachen als universell angesehen wird, lässt sich durch Parallelität gleicher Prozesse erklären. Wenn also Sprachen unabhängig voneinander den gleichen Lautwandel durchlaufen, werden sie gleiche Lautmuster hervorbringen. Der Unterschied zwischen synchronischen und diachronischen Prozessen entfällt, sie unterliegen beide den gleichen phonetischen Prinzipien und sind damit grundsätzlich dasselbe.

Die „Evolution“ der Laute ist als Metapher zu verstehen. Es soll darunter keine Abhandlung der Evolution menschlicher Sprachfähigkeit oder die Behauptung, Lautsysteme würden sich nach dem Prinzip der natürlichen Auslese entwickeln, verstanden werden. Es soll aber verdeutlicht werden, dass Lautwandelprozesse und Lautmuster keine Zielorientierung im Sinne einer Strukturaufrechterhaltung haben.

„Sound change happens, but it does not occur in order to make speech easier to
articulate, easier to perceive or easier to transmit; it does not necessarily result
in a more symmetrical, more stable or generally improved phonological system;
for every case where it happens, there is a parallel case where it does not happen.“(Blevins 2004, 45)

Es gibt drei große Prozesse, die Lautmuster hervorbringen.

  • I CHANGE
Ein Laut, der anderen sehr ähnlich ist, wird vom Hörer falsch gehört und falsch
wiedergegeben.
  • II CHANCE
Das phonetische Signal wird richtig gehört, ruft im Hörer aber eine phonologische
Ambiguität hervor. Der Hörer entscheidet sich für das falsche Phonem.
  • III CHOICE
Der Hörer nimmt mehrere Varianten eines Lautes richtig wahr und leitet aus
diesen Varianten die falsche phonologische Repräsentation ab.

Juliette Blevins stellt somit keine Universalien auf. Für sie steht im Vordergrund, dass wir als Sprecher und Hörer die Ursache von Lautänderungen sind. Somit sind alle Laute und Lautänderungen phonetisch-perzeptuell motiviert und nicht von einem strukturalistschen Ordnungsprinzip durchdrungen.

Diskussion

Jakobson stellte eine universelle Ordnung im Lauterwerb fest. Dabei werden Laute nach dem Prinzip des größten Gegensatzes erworben. Eine Lautebene dient jeweils als Fundament für die nächste Kontrastierung, die ohne dieses Fundament nicht erlernt werden kann (einseitige Fundierung). Gleiches gilt für das Vorkommen bestimmter Laute in den Lautsystemen der Sprachen der Welt. Auch hier existieren die vom Kind später erlernten Laute niemals ohne die entsprechenden vorher gelernten, fundierenden Laute. Doch muss man Jakobsons Erkenntnisse kritisch betrachten, da er sich auf Tagebuchaufzeichnungen von Müttern über den Spracherwerb ihrer Kinder konzentriert. Damit hat er keine allzu große Datengrundlage und noch dazu ist nichts über die Qualität dieser Tagebuchaufzeichnungen bekannt. Das heißt, man kann nicht mit Sicherheit sagen, wie genau diese Tagebücher zu Stande gekommen sind: Wurden nur sprachliche Äußerungen des Kindes aufgenommen? Was versteht die jeweilige Mutter unter einer Sprachäußerung? Was wurde demzufolge nicht aufgenommen, weil es nicht als Sprache eingestuft wurde? Denkbar ist, dass Kinder einen sehr viel individuelleren Lauterwerb haben, der als solcher nur durch eine systematische Beobachtung erkennbar wird.

Anders ist die Datengrundlage bei Greenberg. Unter der Annahme, dass die jeweils markierten Laute (beziehungsweise die später erlernten Laute bei Jakobson) in den Sprachen der Welt relativ zu den unmarkierten (die früher erlernten, fundierenden Laute) weniger häufig vorkommen, untersucht er die Häufigkeit dieser Laute anhand eines recht großen Korpus mehrerer Sprachen. Die Zahlen sprechen tatsächlich für eine Theorie, in der die unmarkierten Laute, die jeweils häufigeren sind und, dass, wo immer es den markierten Laut gibt, die unmarkierte Variante vorhanden sein muss. Die Universalienhypothesen, die sich aus dieser Untersuchung ergeben, können aber immer nur implikationeller Natur sein. Die Implikation verläuft dabei nur in eine Richtung - wenn es das Merkmal A gibt, muss es auch das Merkmal B geben, aber nicht umgekehrt. Wir haben aber damit beispielsweise noch keine Aussage über Sprachen, die das Merkmal A nicht besitzen.

Das Universalienarchiv der Universität Konstanz listet hauptsächlich Universalienimplikationen, darunter die Implikationen von Greenberg und Jakobson, aber auch von anderen Sprachwissenschaftlern aufgestellte Hypothesen. Von den circa 500 Einträgen im Bereich Phonologie sind (bis jetzt) knapp über hundert mit Gegenbeispielen widerlegt. Es ist denkbar, dass mit einer größeren Grundlage an Daten noch mehr Gegenbeispiele gefunden werden.

Da aus Juliette Blevins' Evolutionary Phonology keine direkten Universalien hervorgehen, kann sie auch nicht durch Gegenbeispiele widerlegt werden. Sie räumt ein, dass es Prozesse im Lautwandel geben kann, verursacht durch fehlerhafte Übertragung, die in von einander unabhängigen Sprachen zufällig parallel ablaufen und so gleiche Ergebnisse hervorbringen. Trotzdem ist der Gedanke nicht ganz fern, dass nicht alles ganz so zufällig passiert. Denkbar wäre es jedenfalls, dass bestimmte Merkmale fehleranfälliger sind als andere, sei es, weil sie schwerer zu artikulieren oder perzeptuell weniger gut wahrnehmbar sind, und sich somit eine natürliche Unterscheidung in "markierte" und "unmarkierte" Laute ergibt. Markiert wären Laute dann in dem Sinne, dass sie Merkmale, wie beispielsweise Nasalierung, aufweisen, die schlecht übertragen werden und somit immer wieder verloren gehen, die unmarkierten Laute besitzen kein fehleranfälliges Merkmal und haben mehr Bestand. Auch so können die unterschiedlichen Häufigkeitsverteilungen bei Greenberg und die einseitige Fundierung bei Jakobson interpretiert werden. Dennoch hat die Evolutionary Phonology einen entscheidenden Unterschied: Prozesse des Lautwandels passieren primär durch Hör- und Sprechfehler und nicht um ein Lautsystem aufrecht zu erhalten, in dem jeder Laut seinen festen Platz als Gegenstück zu seinem kontrastierenden Laut hat. Die hörer- und sprechermotivierte Lautabwandlung birgt eine viel größere Flexibilität als strikte Strukturaufrechterhaltung und Systemoptimierung. Fehler in der Übertragung müssen nicht, können aber und dann in alle Richtungen entstehen. Und für jeden Lautwandel gibt es auch ein Gegenbeispiel.

Referenzen

  • Blevins, Juliette (2004): Evolutionary Phonology. Cambridge University Press.
  • Greenberg, Joseph Harold (1966): Language Universals. With a special reference to feature hierarhchies. Berlin: Mouton de Gruyter.
  • Greenberg, Joseph Harold (Hrsg.) (1988): Universals of Human Language. Band II: Phonology. Stanford: Stanford University Press.
  • Jakobson, Roman (1969): Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze. 2. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Weblinks