Texttitel

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Ein Texttitel ist eine Bezeichnung für die Überschrift eines Textes.

Kommentare

Agricola unterscheidet Titel und eigentlichen Text als zwei getrennte selbstständige Einheiten, die Paraphrasen voneinander sind (Agricola 1979: 21).

  • Es bleibt eine Ermessens- und Kriterienfrage, ob man die für viele Texttypen übliche Kategorie des Titels mit als regulären Bestandteil des Textes unter dem Aspekt seiner Abgeschlossenheit einbeziehen will oder ob man ihn als konventionellen Zusatz behandelt, so dass Text und Titel zusammen eine Art Quasitext oder Pseudotext bilden [. . .].

Der Titel sei eine vorwegnehmende hervorhebende Nennung, ein extremes Kondensationsprodukt (Agricola 1979: 21) und werde durch einen Satz, eine Nominal- oder Verbalgruppe gebildet (22).

Nach Große sind Titel Präsignale (Große 1976: 20 ff).

Harweg unterscheidet bei Texttiteln die syntaktische und die semantische von verschiedenen pragmatischen Funktionen:

  • syntaktische Funktion: der Text wird durch den Titel delimitiert,
  • semantische Funktion: der Titel informiert über den inhaltlichen Kern des Textes,
  • pragmatische Funktionen: der Titel macht den Text leicht zitierbar, indem er ihm einen Namen gibt,

o produzentenbezogen: als Arbeitstitel dient die Überschrift als Leitfaden für die Produktion des Textes, o rezipientenbezogen: der Titel kündigt an, was zu erwarten ist (Harweg 1984: 78 ff).

Nach Hellwig fungiert die Überschrift als Eigenname eines Textes (Hellwig 1984: 8).

Tschauder unterscheidet bei den Beziehungen zwischen Überschrift und Text die syntagmatische Relation (der Text folgt dem Titel) von der paradigmatischen Relation: der Titel steht anstelle des Textes, fungiert als dessen Stellvertreter (Tschauder 1991: 295). Das Erkennen dieser Stellvertreterfunktion setzt in der Verständigung allerdings gemeinsame (literarische) Vorkenntnisse bei den Kommunikationspartnern voraus (vgl. 298).

(Beispiel: Kennen Sie Minna von Barnhelm? Oder Kabale und Liebe?)

Sandig, die 1971 eine syntaktische Typologie der Schlagzeilen in Zeitungen entwickelt, erklärt, dass der durch die Kommunikationssituation bedingte Kurzsatz der am häufigsten vorkommende Titeltyp ist.

Brandt stellt bei seiner Untersuchung der Überschriften von Zeitungstexten fest,

  • dass diese Titel die Funktion des Informierens und des Appellierens übernehmen können,
  • dass sie als selbstständige Informationseinheiten fungieren, aber inhaltlich von den Artikeltexten abhängig sind,
  • dass sowohl Relationen zwischen Titel und Text als auch zwischen Titel und Leser bestehen und
  • dass die Leser häufig nur die Titel lesen, obgleich diese für das Lesen der Artikel werben (Brandt 1991: 238 f).

Der (in den Printmedien oder Massenmedien besonders deutlichen) leserwerbenden Funktion der Texttitel entsprechen in verschiedenen Kulturräumen unterschiedliche sprachliche Strukturen.

So dominieren z. B. bei Titeln deutscher Wirtschaftskommentare verklausulierte Bewertungen, sprachlich realisiert durch syntaktische Verkürzung bei semantischer Verdichtung (vgl. Zhu & Liu & Schoenke 1996: 59 ff), größtmögliche Komprimierung bei syntaktischer Reduzierung (75), in chinesischen Wirtschaftskommentaren dagegen (in Sätzen formulierte) Appelle mit traditionellen poetischen Ausdrucksformen, die alten Gedichten (mit spezifischem Rhythmus und Reim) entsprechen (73 ff).

Siehe auch

Textthema, Textrahmen

Link

Eva Schoenke, Textlinguistik-Glossar

Literatur

  • Agricola, Erhard. 1979. Textstruktur - Textanalyse - Informationskern (= Linguistische Studien). Leipzig: VEB Verlag Enzyklopädie.
  • Brandt, Wolfgang. 1991. Zeitungssprache heute: Überschriften. Eine Stichprobe. In Aspekte der Textlinguistik (= Germanistische Linguistik 106/107). Brinker, Klaus (Hrsg.), 213-244.
  • Große, Ernst Ulrich. 1976. Text und Kommunikation. Eine linguistische Einführung in die Funktionen der Texte. Stuttgart: Kohlhammer.
  • Harweg, Roland. 1984. Initialsätze und Überschriften. Bemerkungen zur Struktur von Textanfängen. In Poetica 19 (Tokyo), 63-90.
  • Hellwig, Peter. 1984. Titulus oder über den Zusammenhang von Titeln und Texten. Titel sind ein Schlüssel zur Textkonstitution. In Zeitschrift für Germanistische Linguistik 12/84, 1-20.
  • Sandig, Barbara. 1971. Syntaktische Typologie der Schlagzeile. Möglichkeiten und Grenzen der Sprachökonomie im Zeitungsdeutsch. München: Hueber.
  • Tschauder, Gerhard. 1991. Überschrift und Text - Überschrift als Text. Aspekte der Rezeption. In Folia Linguistica XXV, 295-317.
  • Zhu, Jinyang & Liu, Hongshen & Schoenke, Eva. 1996. Struktur und Funktion der Titel von Wirtschaftskommentaren - eine kontrastive Studie (deutsch - chinesisch). In Wirtschaftskommentare: textlinguistische Analysen - kontrastive Untersuchungen. Schoenke, Eva (Hrsg.), 53-95. Bremen: Universitätsverlag.