Sprichwörtliche Redensart

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Sprichwörtliche Redensarten gehören, neben Wortverbindungen, Redewendungen und Sprichwörtern, zu den Großkategorien im Phraseologismus. Sie sind verbale, bildhafte Ausdrücke, die durch Einfügung in einen Satz und durch die Formulierung einer Satzkonstruktion verwendet werden können.

Form und Merkmale

Sprichwörtliche Redensarten sind feste phraseologische Verbindungen, die formelhaft erstarrt sind,[1] sie bilden als zusammengesetzter Ausdruck einen konstanten Wortlaut.[2] Dennoch sind sie keine unveränderlichen Fügungen wie Sprichwörter. Sprichwörtliche Redensarten haben an sich keinen Eigenwert und wirken erst einmal inhaltslos, sie bilden einen ungeformten sprachlichen Stoff (Wortgruppen-Lexeme).[3] Um sinnvoll zu wirken, muss eine Konstruktion erschaffen werden. Das heißt, es muss einerseits ein Satzglied (Subjekt) eingefügt werden, damit ein vollständiger Satz entsteht und sich die sprichwörtliche Redensart auf jemanden oder etwas beziehen kann,[4] andererseits muss dieser dann in einen anderen Satz beziehungsweise in einen Kontext gesetzt werden.[5] Erst dadurch erhält eine sprichwörtliche Redensart einen Inhalt und Sinn.

Beispiele:

jemanden ins Bockshorn jagen

jemanden Brief und Siegel geben

Sprichwörtliche Redensarten sind somit auch veränderlich nach Zeit und Person, das Subjekt ist austausch- und wandelbar.[6]

Im Gegensatz zu diesen veränderlichen Redensarten existieren feste sprichwörtliche Redensarten, so genannte starre Redensarten. Sie bilden zwar einen eigenständigen Satz, haben aber ebenfalls keinen Eigenwert, denn diesen Wert erhalten auch sie erst durch die Einfügung in einen Kontext.[7]

Beispiel:

Hals und Beinbruch

Sprichwörtliche Redensarten können bildlich sein. „In ihrer Bildlichkeit sind [sie] das Gegenteil der Abstraktion“,[8] dadurch erhalten sie einen eindrucksvollen und starken Ausdruck.[9]

Gedankenfolgen können durch eine sinnbildliche Wendung in einer sprichwörtlichen Redensart zusammengefasst werden.[10] Allerdings sind diese Bilder nur noch im übertragenen Sinn zu verstehen, die Bedeutung der einzelnen Wörter ist nicht mehr vorrangig, stattdessen nimmt man eine sprichwörtliche Redensart als gesamten Ausdruck mit feststehender Bedeutung wahr.[11]

Beispiel:

am Hungertuch nagen

Sprichwörtliche Redensarten ohne Bild sind seltener, sie bedürfen eines besonders kräftigen Ausdrucks, um wirken zu können.[12]

Anders als die Sprichwörter streben die sprichwörtlichen Redensarten keine allgemeingültige Erkenntnis an.[13] Sie sind keine generalisierende Sätze, die eine Lehre formulieren oder sonstige Regeln vorschreiben, vielmehr sind sie wertfrei und ohne einen festen Inhalt, so dass sie beliebig einsetzbar sind.[14] Sprichwörtliche Redensarten zeichnen sich eher durch einen kommunikativen Wert aus, da sie einer Aussage besonderen Ausdruck verleihen können (positiv: vereinfachen, verstärken, veranschaulichen; negativ: verschleiern, werten).

Entstehung und Entwicklung

Für sprichwörtliche Redensarten gibt es sowohl schriftliche, als auch mündliche Quelle und somit zwei Entstehungskontexte. Der Terminus „sprichwörtliche Redensart“ an sich geht auf Justus Georg Schottel zurück, der ihn 1683 in „Ausführliche Arbeit von der Teutschen Hauptsprache“ erstmals verwendete.[15]

Sprichwörtliche Redensarten gelten als „gesunkenes Kulturgut“ und entstammen der Literatur, denn dieser wurden Wendungen beziehungsweise Zitate entnommen, die letztendlich Einzug in den Alltag erhielten und zu sprichwörtliche Redensarten wurden.[16] Der Ursprung kann dabei auch mal in längeren Sprüchen und Vierzeilern liegen.[17] Diese entstehen aber erst dann, wenn der literarische Urheber und das Zitat vergessen werden.[18]

Im Gegensatz dazu steht die Entstehung aus mündlichen Quellen. Aussagen aus der volkstümlichen Sprache und treffende Formulierungen, als Augenblicksbildungen, in bestimmten Situationen haben ich zu Redensarten entwickelt.[19] So ist auch hier die Quelle unbekannt, da man den ursprünglichen Sprecher einer solchen Aussage nicht ausfindig machen kann.

Der Sinn und die damalige Intention der Worte ist für den heutigen Sprecher oder Nutzer einer sprichwörtlichen Redensart nicht mehr nachvollziehbar. Die ursprüngliche Bedeutung der Wörter ist längst verloren gegangen, so dass man die Ausdrücke nur noch im übertragenen Sinn nutzt.[20] Daher sind die sprichwörtlichen Redensarten, die wir heute kennen, meist so genannte „survivals“, nämlich Überbleibsel mit anderem neuen Sinn.[21]

Der Verlust der einstigen Bedeutung einer sprichwörtlichen Redensart geht unter anderem auch darauf zurück, dass uns das vermittelte Bild nicht mehr bekannt und bewusst ist, vielmehr erscheint es unverständlich und überholt.[22] Damals hatte es einen Realsinn, heute können wir es nur noch übertragen verwenden.

Zwar sind sprichwörtliche Redensarten im Laufe ihrer Entwicklung immer mehr erstarrt, nachdem es in der Vergangenheit deutlich mehr variable Formen gab, dennoch zeigen sich auch heute Tendenzen veränderbarer Formen.[23] Auf der einen Seite neigen sie zur Verkürzung und auf der anderen Seite zur Erweiterung durch Ausschmückung, Parodien- oder Variantenbildung.[24]

Abgrenzung zu Sprichwörtern

Obwohl sprichwörtliche Redensarten und Sprichwörter verwandt sind, stehen sie vielmehr nebeneinander und unterscheide sich vor allem auf den Ebenen der Form, Struktur und Funktion.[25] Zwar kann man sagen, dass eine sprichwörtliche Redensart in einem sprichwörtlichen Kleid agiert, trotzdem sind diese nicht etwa durch Kürzung eines Sprichwortes entstanden.[26] Nichtsdestotrotz können die Grenzen der beiden Sprachphänomene nur unscharf gezogen werden, wenn sie beide in einem Text eingeknüpft sind und nebeneinander stehen.[27] Dies zeigt, dass eine exakte Grenzziehung nicht immer möglich ist, zumal es Übergänge zum Sprichwort gibt und Redensarten sogar in die Form von Sprichwörtern gebracht werden können (durch Hinzufügen eines Subjekts), wodurch sie zu einer allgemeinen Lehre oder Warnung werden können.[28]

Literatur

  • Burger, Harald: „Idiomatik des Deutschen.“ Niemeyer: Tübingen 1973.
  • Burger, Harald: „Phraseologie. Eine Einführung am Beispiel des Deutschen.“ Schmidt: Berlin 2010.
  • Haller, Joseph: „Altsprachliche Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten aus den Zeiten vor Cervantes. 1. Teil.“ Regensburg 1883.
  • Koller, Werner: Redensarten. linguistische Aspekte, Vorkommensanalysen, Sprachspiel. Tübingen: Niemeyer 1977.
  • Peukes, Gerhard: „Untersuchungen zum Sprichwort des Deutschen. Semantik, Syntax, Typen.“ Schmidt: Berlin 1977.
  • Pilz, Klaus Dieter: „Phraseologie. Redensartenforschung.“ Metzler: Stuttgart 1981.
  • Röhrich, Lutz: „Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Bd. 1.“ Herder: Freiburg 1991.
  • Röhrich, Lutz und Mieder, Wolfgang: „Sprichwort.“ Metzler: Stuttgart 1977.
  • Seiler, Friedrich: „Deutsche Sprichwörterkunde.“ Beck : München 1967.
  • Wander, Karl Friedrich Wilhelm: „Das Sprichwort. Betrachtet nach Form u. Wesen, für Schule u. Leben, als Einleitung zu einem großen volksthümlichen Sprichwörterschatz.“ Lang: Bern [u.a.] 1983.

Einzelnachweise

  1. vgl. Koller: "Redensarten. Linguistische Aspekte, Vorkommensanalysen, Sprachspiel". 1977, S. 52.
  2. vgl. Röhrich: "Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Bd. 1". 1991, S. 24f.
  3. vgl. ebd., S. 23.
  4. vgl. Seiler: "Deutsche Sprichwörterkunde". 1967, S. 11.
  5. vgl. Röhrich: "Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Bd. 1". 1991, S. 23.
  6. vgl. ebd., S. 24 und Seiler: "Deutsche Sprichwörterkunde". 1967, S. 12
  7. vgl. Röhrich: "Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Bd. 1". 1991, S. 24.
  8. vgl. ebd., S. 31.
  9. vgl. Seiler: "Deutsche Sprichwörterkunde". 1967, S. 11.
  10. vgl. Koller: "Redensarten. Linguistische Aspekte, Vorkommensanalysen, Sprachspiel". 1977, S. 52.
  11. vgl. Röhrich: "Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Bd. 1". 1991, S. 31.
  12. vgl. Seiler: "Deutsche Sprichwörterkunde". 1967, S. 12.
  13. vgl. Koller: "Redensarten. Linguistische Aspekte, Vorkommensanalysen, Sprachspiel". 1977, S. 52.
  14. vgl. Röhrich: "Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Bd. 1". 1991, S. 23.
  15. vgl. ebd., S. 31.
  16. vgl. ebd., S. 28.
  17. vgl. ebd., S. 27.
  18. vgl. ebd., S.28.
  19. vgl. Koller: "Redensarten. Linguistische Aspekte, Vorkommensanalysen, Sprachspiel". 1977, S. 52.
  20. vgl. ebd.
  21. vgl. Röhrich: "Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Bd. 1". 1991, S. 32.
  22. vgl. ebd., S. 33.
  23. vgl. ebd., S.25.
  24. vgl. ebd., S. 27.
  25. vgl. Seiler: "Deutsche Sprichwörterkunde". 1967, S. 11 und Röhrich: "Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Bd. 1". 1991, S. 23.
  26. vgl. Wander: "Das Sprichwort. Betrachtet nach Form u. Wesen, für Schule u. Leben, als Einleitung zu einem großen volksthümlichen Sprichwörterschatz". 1983, S. 49 und Seiler: "Deutsche Sprichwörterkunde". 1967, S. 11.
  27. vgl. Röhrich: "Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten. Bd. 1". 1991, S. 24.
  28. vgl. ebd. und Seiler: "Deutsche Sprichwörterkunde". 1967, S. 12.