Sprachverlust

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Sprachverfall - Language Attrition

Darstellung anhand einer Fallstudie


1 Overview / Einführung

Following the general assumption that in a situation of L1 decay (attrition) those categories are more (i.e. sooner) affected that only in the decaying language carry functional weight, the question arose, if among these decaying categories there was a hierarchy. If processes that are morphonologically alike (i.e. anchored in the dominant language as well) might slow down the decay of its functional category in the attriter. The study was carried out in a three condition study design with an 89 old bilingual woman who hadn´t used one of her two L1 over 60 years. It went to show that facts are indicating towards a negative relation between procedural alikeness and functional decay. Part 1 gives the general introduction, in part 2 the design used will be examined, part 3 presents the results. Parts 4 and 5 finally will give some conclusion and list the references used and/or cited.



In der Bilingualismusforschung ist der Einfluss verschiedener Faktoren auf das Dominanzgefüge der beteiligten Sprachen einer der Hauptuntersuchungsgegenstände (vgl. etwa Weinreich: passim). Es handelt sich dabei um Richtungen des Transfers beim Erwerb sowie der bilingualen Gesprächsanalyse. Nun stellt sich bei Betrachtung einer Sprachbiografie selbstverständlich die Frage, wie der Abbau (Attrition, zum Begriff vgl. Lambert/Fred:passim) einer L1 sich gestaltet; d.h., sind hier dieselben Reihenfolgen und (Transfer-)Richtungen zu erwarten? In der folgenden Studie wurde der Zustand von Slowenisch, das im konkreten Fall neben Deutsch ein parallel erworbenes L1 ist, in der Kompetenz einer 89-jährigen Probandin untersucht, nachdem es von dieser prima vista rund 60 Jahre lang nicht verwendet worden war. Basierend auf der competition hypothesis (Skotara: 2) wird hier davon ausgegangen, dass zwischen der Exklusivität einer Kategorie (d.i., sie ist nur in einer der beteiligten Sprachen vorhanden) und der Geschwindigkeit deren Verfalls eine direkte Beziehung besteht. Dabei wurde nun untersucht, ob der Abbau trotz funktionaler Exklusivität verlangsamt auftritt, wenn die morphonologischen Mittel, die die betroffene Kategorie markieren, in ähnlicher Verwendung in beiden Sprachen auftreten. Um dies signifikant untersuchen zu können, wurde eine Kategorie ausgewählt, die (grosso modo) nur in der verfallenden Sprache vorhanden ist (zur Frage des Aspekts im Neuhochdeutschen vgl. Erben 1976:72), sozusagen funktional im compound system des Individuums bei Abbau nicht fehlen würde, jedoch andererseits hinreichend Gemeinsamkeiten auf prozessmorphologischer Ebene aufweist, die auch in der dominanten Sprache für verwandte Funktionen ausgenützt werden: der slowenische Aspekt auf der einen, die deutsche Präfigierung zur Aktionsartmarkierung auf der anderen Seite. Es soll versucht werden zu zeigen, dass Aspekt als eine jener Kategorien, die zu den frühesten erworbenen zählen (the primacy of aspect, vgl. Robison:passim), auch sehr spät abgebaut werde und die Lexematisierung (Fosslilierung) der Alphaverbstämme (Lehmann:passim) zwar bei elizitierter Befragung zutrifft, jedoch die Betastämme sehr wohl vorhanden sind und geprimt werden können. Verfolgt wird die Annahme, dass bei elizitierter Befragung präfigierte Verben des Deutschen, deren Funktion Ausdruck perfektivistischer Aktionsart ist, als Priming wirkten für die Aktivierung von in freier Befragung nicht aktiver Aspektpartner.

Seliger und Vago nennen drei Gründe, die zu einem L1 Sprachabbau führen (1991:2). Neben den beiden pathologischen Gründen Aphasie und seniler Demenz ist es das Ungleichgewicht, das als ständig wechselndes Dominanzgefüge mit Weinreich gesprochen wie ein „Schlachtfeld“ ein grundlegendes Kennzeichen des bilingualen Individuums per se ist (1979:1). Im Falle der Attrition handet es sich dabei um einen Extremfall, dass nämlich eine Sprache keine oder verschwindend wenig Verwendung aufweist. Dabei treten typische Kennzeichen einer verarmenden Sprache auf: tip of the tongue Probleme und fossilierte Verwendungsweisen von freien Morphemen eher in Phrasen denn als isolierte Items. Als wichtigster Grund dafür nennt die einschlägige (generell bilinguale, nicht nur mit der Attrition befasste) Literatur den Wettbewerb um Gedächtnis- und Prozessressourcen im bilingualen Individuum (auf die fragwürdigen Implikationen einer strengen Auslegung dieser Hypothese im Rahmen der Gehörgeschädigtenpädagogik sei hier nur hingedeutet). Demzufolge (und nun rein im Attritionskontext) würden Kategorien, die nur in der nichtdominanten Sprache vorhanden sind, früher abgebaut. Andererseits aber könnten selbst idente morphologische Prozesse einen positiven weil erhaltenden Transfer auf das System der nicht dominanten Sprache ausüben. Die grundlegende Vorannahme ist, dass slawische Sprachen in einer Attritionssituation die Aspektdifferenzierung zugunsten der prototypischen Vertreter (Alphaverben) aufgeben und sozusagen die Verbbedeutung aspektneutral in dem einen Stamm lexikalisieren (fossilieren) (vgl. Anstatt 1998:passim). Im Folgenden soll untersucht werden, ob es sich nicht um eine wortwörtliche „Fossilierung“ handelt, sondern um eine „semantisch einfachere“ (Anstatt 2008:1) Lösung, unter Bedingungen eines abgeschwächten Aspektsystems.


3 Ergebnisse

Zu ihrer eigenen Genugtuung („Ich weiß ja gar nicht, dass ich soviel weiß.“) führte die freie Kondition nach anfänglichen Problemen innerhalb von 15 Minuten zu einer plötzlich Fluenz der Rede. Es handelte sich um Sätze, die zusammenhanglos aufeinanderfolgten, so, als hätten die gesuchten Wörter, die für die freie Rede benötigt wurden, im Wortfindungsprozess ganze Phrasen elizitiert; ja, als wären sie nur in dieser Gestalt verfügbar. Doch auch dies legte sich nach wiederum einer guten Viertelstunde begleitet von reichlich metasprachlichen Betrachtungen, die auf Deutsch verbalisiert wurden.

Auswertung

a) Lexembefragung:

23/100 Verblexemen wurden beantwortet Durchgehend handelte es sich dabei um imperfektive Stämme. Womöglich auch deshalb, weil die Probandin zur Perfektivierung die TMA Partikel šir verwendet. Attrition Fig 1.png

b) Freie Rede:

24/32 imperfektive Stämme 8/32 perfektive Stämme

c) Geprimte Kondition

Attrition Fig 3.png

Hier wurden statt der ursprünglichen Simplicia präfigierte Verba Secundaria als Priming verwendet. Es soll deshalb von einer Priming Kondition gesprochen werden, weil auf der Grundannahme dieser Studie aufbauend die morphologische Technik der präfigierenden Derivation, die in der dominanten wie der abbauenden Sprache vorhanden ist, die Erinnerung der zumeist per Präfix derivierten Betastämme der slowenischen Aspektpaare triggert bzw. primt. Nicht zu vergessen auch die deutsche Aktionsartmarkierung, die durch ein reichhaltiges (von den Präpositionen geschöpftes) Paradigma gespeist wird und durch das Übergewicht an telischen Aktionsartformen wiederum das Priming auf perfektive Targetnennungen verstärkt. Zu den in der Lexembefragung ermittelten 23 Verbstämmen wurden nun acht zusätzliche durchgehend perfektive Stämme genannt, d.h., zu einem Drittel der Alphaverben wurden die Betavertreter genannt. 4 Conclusion

Es konnte gezeigt werden, dass der Kategorienabbau in einer L1 Attritionssituation nicht eine direkte Ableitung einer Zeit-Gebrauchsfunktion ist. Vielmehr beeinflussen sich die beteiligten Sprachen immer weiter und sämtliche sprachlichen Ebenen können Transfer bewirken; in diesem Fall den positiven Transfer einer Verlangsamung des Abbaus der Aspektpaardifferenzierung und damit der Kategorie des Aspekts per se (obwohl nochmals an die TAM Partikel erinnert werden soll, die als Substitutionstechnik aufgefasst werden könnte). 35% der Verbstämme konnten auch im jeweils gegenteiligen Aspekt produziert werden, sobald sie durch die vergleichbare Derivationsmorphologie der dominanten Sprache geprimt worden waren. Zusätzlich soll auf die freie Kondition hingewiesen werden. Bereits hier war der Anteil perfektiver Stämme größer. Demnach scheint ein Lexembefragungsparadigma keine geeignete Versuchsanordnung zu sein, wenn a) die betroffene Sprache nicht schulisch (und demnach „strukturiert“) erworben wurde und b) es sich um eine im Abbau befindliche Sprache handelt. Schließlich ist letztere durch eine Inselbildung der Kompetenz um häufige Phrasen herum gekennzeichnet.

5 References

Anstatt, Tanja 1998: Lexikalisierung des Aspekts? Alpha- und beta-Verben bei bilingualen russisch-deutschen Kindern, in: Brehmer, B./Fischer, K.B./Krumbholz, G. (eds.): Aspekte, Kategorien und Kontakte slavischer Sprachen. Festschrift für Volkmar Lehmann zum 65. Geburtstag.

Erben, J. 1958: Deutsche Grammatik. Ein Abriss. Akademie Verlag.

Lambert, E.D. / Fred, B.F. (eds.) 1982: The Loss Of Language Skills. Rowley: Newbury House Publishers.

Paradis, M. 2007: L1 attrition features predicted by a neurolinguistic theory of bilingualism. In: Köpke, B., Schmid, M. S., Keijzer, M., and Dostert, S., (eds.), Language Attrition: theoretical perspectives, Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins, 121-33.

Robison, Richard E., 1990: The Primacy of Aspect: Aspectual Marking in English Interlanguage. In: Studies in Second Language Acquisition (SSLA), Volume 12. p.312-330.

Rybalov, Daria 2011: Entwicklung des verbalen Aspekts bei zweisprachigen russisch-deutschen Kindern. Studienarbeit. Grinverlag.

Schmidt, Monika S. 2002: First Language Attrition, Use and Maintainance: The Case of German Jews in Anglophone Countries. Amsterdam: John Benjamins Publishing. (Studies in Bilingualism vol. 24).

Selinger, Herbert / Vago, Robert Michael 1991: First Language Attrition. Cambridge / New York:Cambridge University Press.

Skotara, Nils 2011. ERP correlates of intramodal and crossmodal L2 acquisition. In: BMC Neuroscience 2011, Volume 12/48.

Weinreich, Uriel 1979: Languages in Contact: Findings and Studies.