Sinn bei Niklas Luhmann

From Glottopedia
Jump to navigation Jump to search
STUB
CAT This article needs proper categorization. You can help Glottopedia by categorizing it
Please do not remove this block until the problem is fixed.
FORMAT



Sinn

„Sinn“ (Lat.:sensus) ist kein spezieller Terminus der Linguistik, Logik oder der Wissenschaft.

„Sinn“ ist mit vielen Abwandlungen (Unsinn, Wahnsinn, Schwachsinn, Blödsinn, sinnlos, sinnverwandt, stumpfsinnig, Sinnbild, Sinnesqualitäten, Sinneserkenntnis, Gesinnung, Sinneswandel, sinnieren, sinngemäß, Sinnesorgane, Sinnestäuschung, Gemeinsinn,...) so tief in der Alltagssprache verwurzelt und so häufig im Sprachgebrauch, daß man leicht glauben kann, jeder wüßte genau, was damit gemeint ist. Ein verbreiteter Irrtum!

„Sinn“ bezeichnet zunächst die Fähigkeit des Organismus, äußere oder innere Reize mit Hilfe der Sinnesorgane aufzunehmen und sie als Empfindungen, Wahrnehmungen oder Vorstellungen integriert im Bewußtsein zu aktualisieren, um seine Orientierung danach auszurichten. Dazu muß der Mensch bei Sinnen bzw. Besinnung sein, im Schlaf, unter Narkose oder Drogeneinfluß ist die Sinnbildung aufgehoben oder verändert.

Die Sinnesorgane sind nur die Tore zur Welt, durch welche die Umweltreize zu einer gegliederten Sinn-Ganzheit geführt werden, getragen von der integrativen Funktion des Gehirns.

Diese integrative Funktion des menschlichen Geistes wurde zuerst von Aristoteles beschrieben und als sensus communis in die Wissenschaft eingeführt (de anima III/2).

Die ständige Sinnbildung, die in der Wahrnehmung stattfindet, ist dem Menschen so selbstverständlich, daß sie kaum bemerkt wird, solange nicht Sinnwidrigkeiten auftauchen, z. B. rotes Wasser aus dem Wasserhahn fließt.

Wenn derartig sinnwidrige Auffälligkeiten wahrgenommen werden, wird der Mensch beunruhigt, und er versucht den Widerspruch zu ergründen, z. B. die Ursache für die Rotfärbung des Wassers herauszufinden. Findet er den Grund, eine Erklärung, dann bekommt auch die Verfärbung einen Sinn und läßt sich in das Weltbild (Sinn-Ganze) integrieren, was beruhigend aufs Gemüt wirkt.

Nicht nur die Wahrnehmungen, auch die Handlungen sollten stets sinnvoll sein und sind es in der Regel auch vom morgentlichen Anziehen bis zum abendlichen Zähneputzen mit wenigen Ausnahmen (die unangenehme Folgen haben können, z. B. im Straßenverkehr).

Verantwortung für eine Handlung übernehmen bedeutet immer eine sinnhaltige Antwort geben auf die Frage: „Warum hast du das getan?“


Sinn und Sprache

Für die Sprachwissenschaft ist „Sinn“ der zentraler Begriff, weil Sprache nichts anderes als Kommunikation von „Sinn“ mit Gesten, Lautgestalten oder Schriftbildern zur Aufgabe hat.

Diese Erkenntnis mündete schon im Altertum in der Hermeneutik, der Kunst der Auslegung, die zunächst auf religiöse Texte angewandt deren Sinn möglichst zweifelsfrei erschließen sollte. Dazu dient als Methode der „hermeneutischen Zirkel“, mit dem in kreisförmiger Bewegung von den Teilen auf das Ganze, vom Ganzen auf die Teile, in endloser Folge die ganze Komplexität von sinnhaltigen Dingen (z.B. Büchern) erschlossen werden kann. Das Verstehen von Sinn vollzieht sich im Einordnen in einen die ganze Welt umschließenden Zusammenhang.

Der subjektive Charakter des hermeneutischen Verstehens läßt sich jedoch nicht vermeiden, weshalb hermeneutisches Sinnverständnis nicht mit der objektiven naturwissenschaftlichen Erkenntnis vergleichbar ist. Die Gewißheit der „richtigen“ Auslegung entsteht in der Hermeneutik wie bei einem Puzzle, das nur bei richtiger Zusammenfügung aller Mosaikteile ein sinnvolles Bild ergibt. Keine naturwissenschaftliche Untersuchung kann beweisen, daß die Teile nur so richtig zusammengefügt sind, aber das sinnvolle Puzzlebild hinterläßt beim Betrachter keine Zweifel daran.

Logik und Mathematik beschäftigen sich dagegen mit der Wahrheit, Unwahrheit oder Wahrscheinlichkeit von Aussagen in einer formalisierten Sprache, die auf „Sinn“ völlig verzichteten kann, solange nur mit Buchstaben, Gleichheitszeichen und weiteren Symbolen Wahrheitsbeweise konstruiert werden.

Der Mathematiker Gottfried Frege versuchte „Sinn“ für eine begriffliche Aussagenlogik zu definieren, indem er mit dem berühmten „Abendstern-Morgenstern“-Gegensatz eine Abgrenzung von „Sinn“ und „Bedeutung“ konstruierte. Freges geistreiche Bemühungen zielten (gemeinsam mit B. Russell) auf eine Wissenschaftssprache, in der alle Probleme der Logik und Mathematik eindeutig formuliert werden können. Seine Abgrenzung von „Sinn“ und „Bedeutung“ hat nur für diesen beschränkten Bereich der Sprache einen Wert; für den größten Teil der sprachlichen Sinnproduktion ist eine Trennung von „Sinn“ und „Bedeutung“ so belanglos wie die Frage nach der „Wahrheit“ oder „Unwahrheit.“

Bei multikultureller Umschau stößt man unter anderem auf die chinesische Philosophie des Taoismus, die seit ca. 2000 Jahren das Tao (= Sinn, Weg ) ins Zentrum ihrer Weltanschauung stellt. Das Tao wirkt demnach über die gegensätzlichen Kräfte Yin und Yang auf den Gang der Weltgeschichte. Der chinesischen Weisheit zu Folge läßt sich das Tao daran erkennen, daß es nicht erkennbar ist (Laotse).

Dessen ungeachtet findet man eine tiefgründige Sicht auf das Phänomen „Sinn“ im Nachlaß des Kommunikationstheoretikers Niklas Luhmann (1927-1998), der Kommunikation als Essenz der Gesellschaft verstand und dem „Sinn“-Begriff dabei eine bedeutende Stellung einräumte ("Sinn ist laufendes Aktualisieren von Möglichkeiten").

Luhmanns Systembegriff geht von einem Funktionszusammenhang aus, welcher sich durch seine Abgrenzung von der Umwelt selbst im Zustand einer bestimmten Ordnung hält. Ein System muß demnach primär zur aktiven Erzeugung und Gestaltung von speziellen Grenzen fähig sein.

Psychische und soziale Systeme konstituieren sich für Luhmann als Sinnzusammenhänge. Der Sinnbegriff umfaßt jegliche Ordnungsform menschlichen, bewußten Erlebens; es gibt demnach kein sinnloses Erleben.

Die Welt ist viel zu komplex, um perfekt von einem System erfaßt zu werden. Deshalb ist nach Luhmann das konstruierte „Bild“ der Welt immer eine Vereinfachung, eine Reduktion der unendlichen Komplexität auf ein überschaubares Maß.

An Stelle der äußeren Weltkomplexität erzeugt das System „Mensch“ eine innere Ordnung. Dieses Geschehen versteht Luhmann als Sinnbildung. Das Komplexitätsgefälle wird vom Sinn-System in der Form eines subjektiven Weltentwurfs, der die äußere Welt reduziert, ausgeglichen.

Das System interpretiert die Welt selektiv und reduziert damit die Komplexität auf das ihm zugängliche Maß hin. Dadurch ermöglicht es sich strukturierte Möglichkeiten des eigenen Erlebens und Handelns.

Sinn tritt immer in abgrenzbaren Zusammenhängen auf und verweist zugleich über den Zusammenhang, dem er angehört, hinaus; er macht andere Möglichkeiten vorstellbar und genau hierin liegt nach Luhmann die Funktion der Sinnbildung. Sinn ist in Luhmanns Sicht „die Einheit der Differenz von Aktualität und Potentialität“

Kommunikation konstituiert immer Sinn, ist aktuelle Selektion aus der Potentialität aller zuvor gegebenen Möglichkeiten.

Sinn reguliert nach Luhmann die selektive Erlebnisverarbeitung, ist die selektive Beziehung zwischen System und Welt. Sinn ermöglicht gleichzeitig die Reduktion und Erhaltung von Komplexität.

Sinn läßt sich demnach verstehen als Prämisse der Erlebnisverarbeitung. Sinn ermöglicht dem Bewußtsein eine Auswahl und verweist über das Gewählte auf das Nichtgewählte und somit auf die Grenzenlosigkeit der Welt. Kommunikation kann nach dieser Terminologie keine Übertragung von Sinn oder von Informationen sein, sondern Kommunikation ist gemeinsame Aktualisierung von Sinn, die mindestens einen der Teilnehmer informiert.

Die zentrale Bedeutung der Semantik besteht für Niklas Luhmann in den erhaltenswerten Sinnprämissen innerhalb eines sozialen Systems.

Sinn in der Computerlinguistik

Eine unüberwindliche Hürde ist „Sinn“ für die Bemühungen der Techniker, Maschinen mit sprachlicher Kommunikationsfähigkeit zu konstruieren. Computer verstehen den Sinn nicht, der in den von ihnen verarbeiteten Daten enthalten ist. Ihr mangelndes Sinnverständnis zeigt sich im TURING-Test, den noch kein Computer bestanden hat.

Die unbefriedigenden Ergebnisse von automatischen Übersetzungen beweisen, daß die heutigen Computer vom Sinnverständnis noch weit entfernt sind. Woran es ihnen fehlt, ist eine Frage, deren Antwort im menschlichen „Verstandskasten“ zu suchen ist.


Literatur

Aristoteles , Deutscher Taschenbuch Verlag 1997

Hans Schupp: Elemente der Logik, Westermann Taschenbuch 1970

Niklas Luhmann: Soziale Systeme, Suhrkamp 1987

Weblinks

http://de.wikipedia.org/wiki/Niklas_Luhmann