Rekursivität

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Rekursivität ist eine in der aus der Mathematik und Logik stammenden Terminologie (vgl. hierzu einführend Cutland (1980)) dient der Terminus Rekursivität zur Bezeichnung der Eigenschaft eines Modells, mit einem endlichen Inventar an Grundelementen und [Regeln] unendlich viele Strukturen beschreiben bzw. erzeugen können.

Kommentar

Das entsprechende prozedurale Verfahren wird als Rekursion bezeichnet; Prozeduren, welche sich direkt oder indirekt selbst aufrufen, werden rekursiv genannt. Die meisten heutigen Programmiersprachen unterstützen rekursive Funktionen. Häufig beschriebene Beispiele sind die die Summe aufeinanderfolgender natürlicher Zahlen, die Fibonacci-Zahlen, die Berechnung der Fakultät (n!) oder die Türme von Hanoi (vgl. z.B. Tellioğlu 1998).

Demgemäß sind Regeln rekursiv, wenn rechts von ihrem Ersetzungssymbol (z.B. der Pfeil → in einer Phrasenstrukturregel, das Zeichen = in einer mathematischen Bildungsvorschrift oder das Zeichen :- in der Programmiersprache Prolog usw.) dasselbe Symbol wie links von ihrem Ersetzungssymbol auftritt. Beispielsweise kann die Phrasenstrukturregel

NP → NP + S

eine unendliche Menge von NP-Strukturen erzeugen (NP mit S(atz)-Einbettung). Wird die Anzahl der durch eine rekursive Regel erzeugbaren Strukturen beschränkt, so spricht man von endlicher Rekursionstiefe.

Im Rahmen natürlicher Sprachen wird nach Annahmen der GG die Rekursionstiefe grammatischer Regeln nur durch die Performanz, nicht aber durch die Kompetenz (Kompetenz vs. Performanz) beschränkt (vgl. Eingeschachtelte Konstruktion); zentrale grammatische Verfahren, eine unendliche Menge natürlich-sprachlicher Strukturen zu erzeugen, sind Iteration und Einbettung. Grammatik-Modelle natürlicher Sprachen sollten dementsprechend in der Lage sein, unendlich viele Strukturen zu erzeugen.

In Modellen der GG wird dies durch unterschiedliche Mechanismen erreicht, z.B. im Aspekte-Modell durch rekursive Regeln im Bereich der Phrasenstrukturregeln, im Minimalismus durch die Operation Merge (vgl. Grohmann (2005)). Im Minimalismus ist Rekursivität die die Sprachfähigkeit im engeren Sinn (faculty of language in the narrow sense, FLN) definierende und konstituierende Eigenschaft (vgl. z.B. Chomsky (2005); zur Kritik vgl. Pinker & Jackendoff (2005)).

Für die in jüngerer Zeit ausgesprochen populär gewordene Sprache Pirahã, die von Everett (1986) detailliert beschrieben wird, konstatiert D. Everett in neueren Arbeiten das so genannte Immediacy of Experience Principle (IEP; vgl. Everett (2007: 4)), aus welchem er unter anderem ableitet, dass es im Pirahã keine syntaktische Rekursion gäbe,

   "since embedded sentences are not assertions ..., they cannot be used. To avoid these, the grammar of Pirahã will not have rules of the type"
   'A → BC, B → DE, C → AF'

– vgl. zu dieser Kontoverse z.B. ferner Nevins/Pesetsky/Rodrigues (2007):

Declarative Pirahã utterances contain only assertions related directly to the moment of speech, either experienced (i.e. seen, overheard, deduced, etc. - as per the range of Pirahã evidentials, as in Everett (1986, 289)) by the speaker or as witnessed by someone alive during the lifetime of the speaker.

Herkunft

lat. recurrere 'zurückkehren'; recursus 'Rückkehr'

Links

Rekursivität in Norbert Fries, Online Lexikon Lingustik

Literatur

Y. Bar-Hillel, On Recursive Definitions in Empirical Science. Proceedings of the 11th International Congress of Philosophy. Bd. 5. Brüssel 1953, 10-165.

N. Chomsky, Aspects of the Theory of Syntax. 1965. [dt.: Aspekte der Syntax-Theorie. Übersetzt v. E. Lang. Frankfurt/Main 1968.]

– Ders., Three Factors in Language Design. LIn 2005/36, 1-22.

N. J. Cutland, Computability – An Introduction to Recursive Function Theory. Cambridge 1980.

D. Everett, Pirahã. In: D. C. Derbyshire & G. K. Pullum (Hg.), Handbook of Amazonian Languages. Vol. 1. Berlin 1986, 200-325.

– Ders., Cultural Constraints on Grammar in Pirahã: A Reply to Nevins, Pesetsky, and Rodrigues (2007). Ms. Illinois State Univ. 2007. [1]

K. K. Grohmann, Natural Relations. Ms. Univ. of Cyprus, Nicosia 2005.

M. Hauser et al., The Faculty of Language: What Is It, Who Has It, and How Did It Evolve? Science 2002/298, 1569-1579.

A. Nevins, D. Pesetsky & C. Rodrigues, Pirahã Exceptionality: A Reassessment. Ms. MIT 2007. [2]

S. Pinker & R. S. Jackendoff , The Faculty of Language: What’s Special about It? Cognition 2005, 1-36.

H. Tellioğlu, Rekursivität. Magisterarbeit Univ. Wien 1998. [3]

Andere Sprachen

engl. recursive

frz. récursif