Mentale Textrepräsentation

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Die mentale Textrepräsentation ist ein in Prozessen der mentalen Kohärenzbildung konstruiertes Modell des Textinhalts.

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Der Begriff mentale Repräsentation ist ein Konstrukt der Kognitiven Psychologie und bezeichnet den Aufbau und die Abbildung von Wissen in mentalen Modellen. Der Terminus mentales Modell geht auf Johnson-Laird (1980, 1983, 1989) zurück.

Schnotz weist darauf hin, dass in der rezeptiven Textverarbeitung durch Inferenzen nicht nur Kohärenzlücken im Text geschlossen werden, sondern über Prozesse der Kohärenzbildung Modelle des Textinhalts als mentale Repräsentationen des Textes aufgebaut werden (Schnotz 1994: 210, 213 f, 215).

Der Begriff mentale Textrepräsentation bezieht sich auf mehrere Ebenen in der rezeptiven Textverarbeitung.

  • Neben einer mentalen Repräsentation der Textoberfläche, in der die spezifischen sprachlichen Formulierungen bzw. die konkreten linguistischen Eigenschaften des Textes erfasst werden, konstruiert der Leser eine propositionale mentale Repräsentation und ein mentales Modell des Textinhalts (Schnotz 1994: 213).

Die verschiedenen Ebenen der mentalen Repräsentation des Textes entsprechen der jeweiligen Verarbeitungstiefe:

  • die mentale Repräsentation der Textoberfläche ermöglicht Rezipienten eine weitgehend wortgetreue Wiedergabe eines Textes (auch ohne ihn vollständig verstanden zu haben),
  • die propositionale Repräsentation enthält als Textbasis mit lokaler Kohärenz sowohl zentrale als auch periphere Textinformationen (und präsentiert ein sprachnahes Übertragen in eine mentale Repräsentation von Sachverhalten),
  • die globale mentale Textrepräsentation basiert auf der propositionalen Repräsentation, integriert jedoch noch wesentlich stärker Vorwissen aus verschiedenen Bereichen, generiert über Inferenzen globale Kohärenz und den Aufbau eines (dynamisch strukturierten) mentalen Modells mit Dominanz der zentralen Textinformationen (Schnotz 1994: 213 ff; vgl. Johnson-Laird 1980, 1983, 1989).

Zitat

  • Texte werden nach der Theorie mentaler Modelle auf zwei Ebenen repräsentiert: auf der propositionalen Ebene, auf der sie an sprachlichen Strukturen orientiert sind, und auf der Ebene mentaler Modelle, auf der sie den im Text beschriebenen Sachverhalt primär bildlich abbilden. Im Verarbeitungsprozess greifen beide Ebenen ineinander (Christmann 2000: 119).
  • Das eigentliche Ziel des Textverstehens besteht [. . .] im Aufbau eines mentalen Modells des Textinhalts. Dieser Prozess der mentalen Modellkonstruktion geht von der jeweiligen Textbasis aus und greift zugleich auf Vorwissen zurück (Schnotz 1994: 215).

Siehe auch

Textverstehen, Kohärenz, inferieren, Wissen, Wissensverarbeitung, Propositionsanalyse, Strategiemodell, rezeptive Textverarbeitung

Link

Eva Schoenke, Textlinguistik-Glossar

Literatur

  • Christmann, Ursula. 2000. Aspekte der Textverarbeitungsforschung. In Text- und Gesprächslinguistik / Linguistics of Text and Conversation. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung / An International Handbook of Contemporary Research 1. Halbbd. / Volume 1. Brinker, Klaus u. a. (Hrsg.), 113-122.
  • Johnson-Laird, Philip Nicholas. 1980. Mental Models in Cognitive Science. Cognitive Science 4/80: 71-115.
  • Johnson-Laird, Philip Nicholas. 1983. Mental Models. Towards a Cognitive Science of Language, Inference, and Consciousness. Cambridge: Cambridge University Press.
  • Johnson-Laird, Philip Nicholas. 1989. Mental Models. In Foundations of Cognitive Science. Posner, Michael I. (ed.), 469-499. Cambridge Mass.: MIT Press.
  • Schnotz, Wolfgang. 1994. Aufbau von Wissensstrukturen. Untersuchungen zur Kohärenzbildung beim Wissenserwerb mit Texten (= Fortschritte der psychologischen Forschung 20). München/Weinheim: Psychologie Verlags Union.