Generisches Maskulinum

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Definition

Generisches Maskulinum ist die Bezeichnung für die Verwendung von maskulinen Nomina bzw. Pronomina, die auf Lebewesen referieren, bei denen das Geschlecht nicht bekannt bzw. irrelevant ist. Das verwendete Nomen bzw. Pronomen könnte sich also auf Lebewesen jeglichen (biologischen) Geschlechts beziehen.

Der Begriff generisches Maskulinum tritt das erste Mal in der Duden-Grammatik 1995 auf (vgl. Drosdowski et al. 1995: 196). Das generische Maskulinum bezeichnet die Verwendung maskuliner Nomina (vgl. 1–3) bzw. Pronomina (vgl. 4) für Lebewesen, bei denen der Sexus (d.h. das biologische Geschlecht: männlich, weiblich, divers) unbekannt oder für die spezifische Situation irrelevant ist.

1. Jeder Lehrer hat ein Notenbuch.
2. Alle Studenten müssen für ihre Klausuren lernen.
3. Der Hund ist ein Säugetier.
4. Jeder hat sein Buch gelesen.

Bei dieser Verwendung von Nomina/Pronomina wird nicht spezifiziert, welches (biologische) Geschlecht das Lebewesen hat, auf das sich der Ausdruck bezieht, bzw. es geht einfach nur um eine allgemeine (z.B. generische) Aussage (vgl. 3), bei der der Sexus der Referenten irrelevant ist.

Ausdrücke im generischen Maskulinum sind ambig, da sie nicht für Sexus spezifiziert sind, d.h. sie können sich auf Individuen unterschiedlicher Geschlechter beziehen. Im Vgl. dazu wird davon ausgegangen, dass Ausdrücke im Femininum für Sexus (weiblich) spezifiziert sind. Bspw. kann der Ausdruck die beiden Lehrer für weibliche oder männliche Lehrkräfte (vgl. 5) verwendet werden. Im Gegensatz dazu kann der Ausdruck die beiden Lehrerinnen jedoch nur für weibliche Lehrkräfte benutzt werden und kann nicht auf die Deutschlehrerin und den Spanischlehrer referieren (vgl. 6). Dieser Satz gilt somit als ungrammatisch (*) bzw. als semantisch markiert (#).

5. Die beiden Lehrer waren in dem Raum. Die Deutschlehrerin trank ihren Kaffee und der Spanischlehrer trank seinen Tee.
6. * Die beiden Lehrerinnen waren in dem Raum. Die Deutschlehrerin trank ihren Kaffee und der Spanischlehrer trank seinen Tee.

Durch den 1987 erschienenen Artikel "Linguistik und Frauensprache" wurde die Diskussion um das generische Maskulinum erstmals eröffnet. Die Hauptkritik an die Verwendung des generischen Maskulinums besteht darin, dass eine enge assoziative Bindung zwischen grammatischem Genus (Maskulinum, Femininum, Neutrum) und Sexus (d.h. biologischem oder natürlichem Geschlecht: männlich, weiblich, divers) besteht, weil bei Personen- und Lebewesenbezeichnungen Genus und Geschlecht häufig übereinstimmen (vgl. 7 & 8) (vgl. Hofstadter 1986, Schoenthal 1989; Bubenhofer et al. 2012).

7. der Vater (Genus: maskulin, Sexus: männlich)
8. die Tante (Genus: feminin, Sexus: weiblich)

Daher – so die Kritik – wird durch die Verwendung des generischen Maskulinums die Vorstellung einer männlichen Person ausgelöst, sodass Frauen sprachlich unsichtbar bleiben bzw. weniger an sie gedacht wird (vgl. Klein 2004; Sczesny & Stahlberg 2001; Hannover & Vervecken 2005). Durch diese Unstimmigkeiten kam es in der Vergangenheit zu einigen juristischen Klagen. Der Fall einer Klägerin landete beim Bundesgerichtshof (BGH), da sich die Klägerin vom generischen Maskulinum (in dem Fall von dem Ausdruck Kontoinhaber) nicht angesprochen fühlte. Der BGH wies die Klage jedoch zurück. Um solche Unstimmigkeiten zu vermeiden, wird seit etwa 2002 vermehrt gegenderte Sprache verwendet (vgl. Hajnal 2002). Das heißt, statt der Ausdrücke im generischen Maskulinum, werden Personenbezeichnungen in "politisch korrekter Form" verwendet (vgl. 9–11), um zu vermeiden, dass diese Ausdrücke als spezifisch maskuline Formen interpretiert werden. Bis heute ist das Thema generisches Maskulinum besonders in der feministischen Linguistik, umstritten (vgl. Pusch 1984; Trömel-Plötz 2008; Bayer 2019; Haspelmath 2019).

9. Studentinnen & Studenten (ausführliche Doppelnennung)
10. StudentInnen, KassenprüferInnen (Binnen-I)
11. Studierende, Lehrkräfte (genusneutrale Ausdrücke)


Literatur

Bayer, Josef. 2019. Ist die Gender-Grammatik biologisch vorherbestimmt? Eine Klarstellung. In: Diversity Linguistics Comment: Language structures throughout the world [Blogbeitrag]. https://dlc.hypotheses.org/1736. Zugriff 20.04.2019.

Bayer, Josef. 2019. Sprachen wandeln sich immer – aber nie in Richtung Unfug. Neue Zürcher Zeitung, 10.04.2019, Feuilleton. https://www.nzz.ch/feuilleton/die-geschlechtergerechte-sprache-macht-linguistische-denkfehler-ld.1472991. Zugriff: 16.04.2019.

BGH-Urteil (VI ZR 143/17, 13.03.2018): http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=82652&pos=0&anz=1. Zugriff: 12.02.2020.

Bosak, Janine; Braun, Friederike; Oelkers, Susanne; Rogalski, Karin & Sczesny, Sabine. 2007. Aus Gründen der Verständlichkeit…: Der Einfluss generisch maskuliner und alternativer Personenbezeichnungen auf die kognitive Verarbeitung von Texten. Psychologische Rundschau 58(3). 183–189.

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Bubenhofer, Noah; Linke, Angelika & Schröter, Juliane. 2012. "Ich als Linguist": Eine empirische Studie zur Einschätzung und Verwendung des generischen Maskulinums. In Günthner, Susanne; Hüpper, Dagmar & Spieß, Constanze (Hg.). Genderlinguistik: Sprachliche Konstruktionen von Geschlechtsidentität. Berlin: De Gruyter, 259–379.

Diewald, Gabriele & Steinhauer, Anja. 2017. Duden: Richtig gendern. Wie Sie angemessen und verständlich schreiben. Berlin: Dudenverlag.

Drosdowski, Günther; Eisenberg, Peter; Gelhaus, Hermann; Wellmann, Hans; Henne, Helmut & Sitta, Horst. 1995. Duden: Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. Mannheim: Dudenverlag.

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Schoenthal, Gisela.1989. Personenbezeichnungen im Deutschen als Gegenstand feministischer Sprachkritik. Zeitschrift für germanistische Linguistik 17. 296–314.

Trömel-Plötz, Senta. 2008. Sprache: Von Frauensprache zu frauengerechter Sprache. In: Braun, Christina von & Stephan, Inge (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 756–759.

Wegener, Heide. 2017. Grenzen gegenderter Sprache – warum das generische Maskulinum fortbestehen wird, allgemein und insbesondere im Deutschen. In: Baumann, Antje & Meinunger, André (Hg.): Die Teufelin steckt im Detail: Zur Debatte um Gender und Sprache. Berlin: Kulturverlag Kadmos, 279–293.